JÜDISCHE ALLGEMEINE

 

Aus dem Artikel von Ayala Goldmann  07.10.2022

 

»BABYLON BERLIN«

 

DER GANGSTER SPRICHT JIDDISCH

 

Der israelische Schauspieler Mark Ivanir (54), geboren in Czernowitz und aufgewachsen in der Nähe von Bnei Brak (in Schindlers Liste von 1993 war er Marcel Goldberg), verkörpert in Babylon Berlin den Gangster Goldstein – mit finsterer Miene und schwerem Akzent. Eine gute Wahl ist auch Moisej Bazijan (72), ebenfalls gebürtig aus Czernowitz, als Goldsteins Onkel. Bazijan (bekannt durch seine Rolle als Dimas Opa in Masel Tov Cocktail von Arkadij Khaet) beherrscht die jiddische Sprache fließend. Das im Film gesprochene Jiddisch ist zwar teils »eingedeutscht« (sonst würde es das deutsche Fernsehpublikum wohl kaum verstehen), doch immer noch »authentisch« genug, um den Schmuckhändler Jakob Grün als Sympathieträger und warmherzigen Gegenspieler zu Goldstein, dem Jäger des »Blauen Rothschild«, zu zeichnen. 

?MASEL TOV COCKTAIL GEWINNT 57. GRIMME-PREIS 2021?
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Begründung der Jury: Antisemitismus, der mediale Diskurs – das ist ein schmaler Grat, den die Autoren und Regisseure von „Masel Tov Cocktail“ betreten. Aber der Balanceakt gelingt ihnen meisterhaft. Alle Zutaten in diesem Cocktail stimmen: Drehbuch, Kamera, Schnitt und Regie präsentieren mit perfektem Timing starke Bilder und Aussagen, die in sehr kurzer Zeit zeigen, was es heute bedeutet, in Deutschland jüdisch zu sein.
Das alles mit einer Energie und einem Tempo, das den/die Zuschauer*in kaum atmen lässt. Die Filmemacher interessieren sich dabei nicht für Genregrenzen, sondern agieren frei und sind gleichzeitig angenehm distanziert. Mit großer Erzähllust entblößen sie den überaus verkrampften, gleichzeitig unwissenden, aber umfassend verkorksten Umgang mit dieser Thematik auf allen Seiten: Eine Lehrerin, die es nicht schafft, das Wort Jude auch nur zu artikulieren, während Teenager vor einem jüdischen Mahnmal für TikTok twerken.
Einen großen Anteil an der Dynamik und der Wucht, mit der der Film auf den Zuschauer trifft, hat Dimi, gespielt von Alexander Wertmann. Dieser packt uns von der ersten Sekunde – seinen Augen, seiner Präsenz kann man sich nicht entziehen, Wertmanns direkte Zuschaueransprache ist so überzeugend und ungeschönt, dass wir seinen Weg vom ersten Moment an mitgehen. Die beiden Regisseure und Autoren Arkadij Khaet und Mickey Paatzsch setzen hier das Brechen der vierten Wand als Stilmittel gekonnt ein, spielen konsequent mit verschiedenen Erzählebenen, mischen Fiktion und Realität.
Durch diese multimodale Kommunikation kommt der/die Zuschauer*in nie zur Ruhe, hat keine Chance sich zu entziehen, sondern muss sich ständig neu mit dem Thema auseinandersetzen. Jeder Schnitt bietet eine kleine Überraschung, etwas Neues, immer mit einem Augenzwinkern. Das macht „Masel Tov Cocktail“ so vermeintlich leicht zu schauen. Wissensvermittlung passiert en passant der Erzählung von Dimi – aber nie belehrend.
Das alles unabhängig davon, auf welchem Wissensstand der Rezipient ist, auch Zuschauer*innen mit viel Vorwissen finden Neues. Manchmal subtil, aber auch direkt – zum Beispiel beim Erklären des „Falafelkriegs“ oder beim Parfümkaufen im ehemaligen „arisierten“ Kaufhaus Tietz (heute Kaufhof).
Dieser Film ist so erfrischend anders im Umgang mit Vorurteilen und Klischees über das Leben als Jude in Deutschland. Ein Kunstwerk, das zwischen Verantwortung, Krampf, Schuld und Wiedergutmachung und dem Wunsch nach einer neuen Normalität steht. Es ist einer der originellsten filmischen Cocktails der letzten Jahre, mit echtem Mehrwert und noch weit darüber hinaus. Wir wünschen uns, dass es den Machern von „Masel Tov Cocktail“ gelungen ist, den Blick auf jüdisches Leben in Deutschland zu erweitern.
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Produktion: Lotta Johanna Ludwig Meck Christine Duttlinger!
Regie: Arkadij Khaet, Mickey Paatzsch
Bildgestaltung: Nikolaus Schreiberr
Montage: Tobias Wieduwilt
Filmmusik: Andreas Skandy
Sound Supervisor: Johann Meis
Szenenbild: Ha Lo
Kostümbild: Mara Laibacher
Maskenbild: Selina Schardt
Rolle Tobi: Mateo WL
Rolle Michelle: Gwentsche Kollewijn
Rolle Mutter: Liudmyla Vasylieva
Rolle Opa: Mark Bazijan
Marcel: Luke Piplies
Tobis Mutter: Isabella Leicht
Falafel Verkäufer: Masud Akbarzadeh
Lehrerin: Petra Nadolny
Politiker: Mike Maas
Sprecher: Kaspar Eichel
1. Regieassistenz: Johannes Böttge
2. Regieassistenz: Pauline Nier
Script / Continuity: Piet Grünberg
Produktionsleitung: Ben Turlach
Produktionskoordination: Maxine Paatzsch
Set Aufnahmeleitung: Fabian Leonhardt
Set Al Assistenz: Michael Hiechinger Antonia Best Hannah Buhr Nadia Zim
Redaktion: Brigitte Dithard (SWR), Laurence Reily (ARTE)
Oberbeleuchter: Markus Ott, Viktoria Blocher Amadeus Bramsiepe Gerard Fass, Franziska Kabutke, Yael Kolb
1. AC: Jacob Bestgen
2. AC: Sebastian Hempel
Steadicam Operator: Felix Lang
Grip: Luca Stengel
Gripassistenz: Minh Nguyen
DIT: @Fabian Zimmermann
Innrequisite: Lotti Madlyn
Szenenbildassistenz: Zoé Maria Roßmanek, Lea Sakamoto
Garderobiere: @Laura Keller, Julie Fritsch
Stuntkoordinator: Annette Bauer
Filmton & Mischung: Johann Meis
Sounddesign: Robin Harff
Tonassistenz: Paul David Traumland, Angelo Diaz Jr., Moritz Schulz, Lukas Reiter
Dialogschnitt: Angelo Diaz Jr.
Foley Artist & Editor: Johanna Roth
Foley Recordist: Johann Meis
ADR: Alexander Wolf David
Motion Design: Fritz Gnad
Farbkorrektur: Nikolaus Schreiber
Mappengestaltung: Anna Meck
Untertitel: Martha Stajer
Fahrer: Leon Pietsch
Catering: Oona Oona

 

Süddeutsche Zeitung

 

Civis-Medienpreis für jungen Filmemacher:"Niemand kennt 'n Heilmittel gegen den Scheiß"

 

 

Masel Tov Cocktail

 

Dimitrij Liebermann (Alexander Wertmann) führt durch sein Zuhause: eine Hochhaussiedlung mitten im Ruhrgebiet.

 (Foto: SWR/Filmakademie Baden-Württemberg/SWR/Filmakademie Baden-Württemberg)

 

 

Der 29-jährige Arkadij Khaet leistet mit dem Film "Masel Tov Cocktail" den wohl besten Beitrag zum Thema Antisemitismus dieser Tage - und braucht dafür nur eine halbe Stunde.

 

 

 

Von Theresa Hein

 

 

 

 

 

Warum enden nicht mehr Filme mit diesem "Uff"-Gefühl, das man, wenn der Abspann von "Masel Tov Cocktail" über den Schirm läuft, irgendwo zwischen Luftröhre und Zwerchfell spürt? Und überhaupt - wer braucht langsame Erzähltechniken, wenn es Menschen gibt, die in einer halben Stunde fast alles sagen können, was wichtig ist?

 

 

 

Allzu viel will man über diesen Film gar nicht verraten, aus Angst, man könnte ihm etwas von seiner Kraft nehmen. Aber ein bisschen was muss sein: Dimitrij "Dima" Liebermann ist Jude und hat in der Schule Tobias eins auf die Mütze gegeben, weil der antisemitische Ressentiments geäußert hat. Wobei das zu hochtrabende Worte sind, für das, was der Jugendliche sich geleistet hat: Recht drastisch hat der "Schulkamerad" pantomimisch dargestellt, was "man früher" mit Juden gemacht hätte. Und Dima ist ausgeflippt.

 

 

 

Seitdem ist die Nase von Tobias gebrochen und Dima eine Woche von der Schule beurlaubt. Dimas Eltern, die in den Neunzigerjahren von Russland nach Deutschland gekommen sind, finden, ihr Sohn solle sich am besten mit einem Blumenstrauß entschuldigen und außerdem sei ihr Sohn kein Rowdy. Es folgen eindringliche, aber zutiefst unterhaltsame 30 Minuten darüber, was es heißt, in Deutschland als Jude aufzuwachsen, inklusive belämmerte Tipps von überforderten Pädagogen und Fremdscham-Momenten mit Gleichaltrigen.

 

 

 

Dimas Opa lässt sich von neuen Rechten beeindrucken

 

 

 

Was macht diesen Film so beeindruckend? Da ist einerseits diese Auf-die-Zwölf-Regie, die sich Arkadij Khaet mit seinem früheren Filmhochschulkollegen Mickey Paatzsch geteilt hat - knappe Szenen, in denen genau so viel europäische Geschichte verhandelt wird wie nötig, außerdem die fällige Kulturkritik an jüdischen Schwarz-Weiß-Darstellungen. Hinzu kommt das Drehbuch von Arkadij Khaet und Merle Kirchhoff, in dem Sätze fallen wie: "Antisemitismus ist wie Herpes. Niemand kennt 'n Heilmittel gegen den Scheiß, man klebt kleine Pflaster auf die Eiterblasen und hofft, dass er schnell wieder verschwindet." Aber auch die kleinen, ironischen und doch schmerzhaften Szenen beeindrucken - etwa die Begegnung von Dimas Opa mit einem neuen Rechten (mit Herpes!), der mit ihm über den Kampf gegen den "arabisch importierten Antisemitismus" spricht, woraufhin Dima seinen Opa an der Hand nimmt, ihn auf die Wange küsst und geht.

 

 

 

Die Kameraführung von Nikolaus Schreiber ist alles andere als unauffällig und schiebt sich wie ein zweiter Protagonist in die Erzählung, ein lauter Verbündeter der Hauptfigur. Und da ist natürlich noch die personifizierte Wucht von der ersten Sekunde an: Hauptdarsteller Alexander Wertmann spielt den 16-jährigen Dima, der einfach nur seine Ruhe haben will und sich mit Identitätszuschreibungen rumschlagen muss, glaubwürdig und einfühlsam. Die Identitätssuche, eigentlich ein konfessionsübergreifendes Problem von Jugendlichen, das sich als junger Jude in Deutschland aber, wie man in diesem Film sieht, ins Unerträgliche steigern kann. Die Grundfrage: Wie soll man das aushalten?

 

 

 

Völlig zu Recht ist das halbstündige Filmprojekt von Arkadij Khaet am Freitag mit gleich zwei Preisen der Civis-Medienstiftung ausgezeichnet worden. "Masel Tov Cocktail" ist ein kleines Wunder, so unpeinlich, so authentisch, so schön und schrecklich anzusehen. Hier hat ein fähiges Team an jungen Menschen ein Kunstwerk aus der Alltäglichkeit des vermeintlich schon hundertmal Erzählten heraus geschaffen.

 

 

 

 

Vorwort zum Workshop an der Theaterakdemie August Everding München. 2000

Bericht von http://www.henrikeger.com/Theatre-Arts.php

March 21, 2007

Festsaal Vienna, Austria

 

Henrik Eger, English-German interpreter for Ukrainian director and American actors

 

I interpreted from German into English for the workshop “Role Analysis through Action,” taught by Moisej Bazijan, former Artistic Director of the Jewish Theatre of Lemberg, Ukraine, now Munich, Germany. Within a short period of time, he taught the participating American actors a kind of “Stanislavsky plus” method—training them to use this technique to generate actions for their characters while performing a scene from Anton Chekhov’s Seagull.

 

Bazijan then introduced the actors to a passage from Zilinski ist tot(Zilinski is dead) by Franz Monone of Germany’s most avant-garde authors. The acting by the young Jewish-American performers, rolling on the floor under a table, head to head, reciting Mon—was so persuasive that during those moments I actually thought my American friends had permanently and irrevocably transformed into Beckett characters on speed.